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Die vier Verräter im Revier II – Bewegung, Kontur, Farbe

Leseprobe die vier verräter
Christian Heinz | 13 Min. Lesezeit
Ein Artikel aus Ausgabe 43

Unser heimisches Schalenwild ist als Fluchttier mit einem sensationellen Gesichtssinn ausgestattet und kann einen sich annähernden Fressfeind bereits auf viele hundert Meter ausmachen. Warum funktioniert es aber dann doch, bis auf wenige Meter heranzukommen und Beute zu machen, ohne erkannt zu werden? In diesem Artikel gehe ich auf die Sehstrategie von Schalenwild ein und zeige ein paar Möglichkeiten, um dieses „hinters Licht“ zu führen.

Text: Christian Heinz
Fotos: Christian Heinz, Hans Arc und Martin Schmidt

 

Gefragt, welches die wichtigste Komponente bei der visuellen Tarnung ist, antworten meiner Erfahrung nach die meisten Menschen mit der Farbe der Kleidung. Grün und Braun sind hier die Favoriten. Die Werbung der Hersteller von Jagdbekleidung und Ausrüstung bestärkt uns natürlich täglich in diesem Glauben. In unserer arteigenen, also menschlichen Sehwelt ist das auch richtig, Schalenwild hat aber in seiner Evolution andere Sehstrategien als wir Menschen entwickelt und muss deshalb „tarntechnisch“ anders behandelt werden.

Um die Unterschiede zwischen der menschlichen Wahrnehmung und dem Äugen von Schalenwild zu verstehen, ist es hilfreich, sich mit dem Aufbau des Auges zu beschäftigen. Das wird nun etwas trocken, ich versuche mich kurz zu fassen, aber da müssen wir jetzt durch!

Vereinfacht gesagt, befinden sich in der Netzhaut verschiedene Fotorezeptoren, die eine begrenzte Anzahl verschiedener Lichtwellen erkennen können.

Für das photopische Sehen (vom altgriechischen phos = Licht) sind die sogenannten Zäpfchen verantwortlich, damit werden vor allem Farben wahrgenommen.

Beim skotopischen Sehen (vom altgriechischen skopos = Nacht) werden hingegen die Stäbchen animiert, welche für das „Schattensehen“ – womit feine Unterschiede in der Helligkeit gemeint sind – verantwortlich zeichnen. Die Stäbchen sind um ein Zigtausendfaches sensibler als die Zäpfchen.

Der Vollständigkeit halber sei noch das mesopische Sehen (vom altgriechischen meso = mittig) in der Dämmerung erwähnt, bei dem manche Farben intensiver erscheinen und andere verschwinden.

Wild und Mensch nutzen prinzipiell die gleichen Fotorezeptoren, jedoch mit unterschiedlichen Prioritäten.

 

Bei dem von uns bejagten Schalenwild ist das sichtbare Farbsehspektrum im Vergleich zum menschlichen kleiner. Die meisten Wirbeltiere haben nur zwei unterschiedliche Zäpfchentypen (Dichromaten) während der Mensch über drei (Trichromat) zum Farbsehen verfügt. Deswegen kann Schalenwild einige von uns wahrgenommene Farben wie Rot oder Orange nicht mehr erkennen. Durch unterschiedlich entwickelte Filter können Lichtwellen im ultravioletten und im infraroten Bereich von Schalenwild, im Gegensatz zum Menschen, erkannt werden. Zu guter Letzt sind die Stäbchen bei nachtaktiven Säugetieren zu einer Art Sammellinse zusammengeschaltet und diese Tiere besitzen im Auge eine reflektierende Schicht (Tapetum lucidum) unter der Netzhaut, die das Lichtwahrnehmungsvermögen um ein Vielfaches erhöht. Das Tapetum lucidum hat aber auch einen Preis, denn Details werden nicht so scharf abgegrenzt wahrgenommen. Welche Konsequenz das für den Jäger hat, möchte ich etwas später aufgreifen.

Ein wesentlicher Unterschied zum Mensch ist die Verteilung von Zäpfchen und Stäbchen im tierischen Auge. Bei Schalenwild überwiegen die Stäbchen und diese sind eher in den Rändern der Pupille konzentriert. Damit werden feinste Veränderungen des Lichts bemerkt (Bewegung, Schatten) und dies speziell, wenn selbige in der Peripherie vorkommt, also beim Eintritt eines potenziellen Fressfeindes in das Sehfeld. Daraus resultiert auch die balkenförmige Pupillenform bei vielen Schalenwildarten.

Wir Menschen haben die Augen vorne im Gesicht, um ein breites, räumliches Gesichtsfeld abzudecken. Dies ist den meisten landlebenden Prädatoren gemein und dient zum Entfernung schätzen und Fokussieren beim Beutegreifen. Als Fluchttier hat unser Schalenwild die Lichter seitlich am Haupt, was zwar nur einen sehr kleinen 3D-Bereich (binokulares Sehen) nach vorne, aber dafür einen viel weiteren Sehbereich in 2D zur Seite und nach hinten zulässt. Damit haben Schalenwildvertreter wie Rot-, Reh- und Muffelwild um die 310 Grad-„Rundumsicht“, während es bei uns Menschen nur zu etwa 190 Grad reicht. Die querovale Form der Pupille unterstützt diese Panoramasicht und durch die relativ große Netzhautoberfläche wird die Projektion vergrößert. Genug der Grundlagen!

Rehwild äugt immer wieder, um seine Umgebung nach potentiellen Fressfeinden abzusuchen.

Nun wird also klar, dass Schalenwild eine ganz andere Sehstrategie anwendet. Nochmals kurz zusammengefasst: Es konzentriert sich auf eher weite Entfernungen und dabei auf die Detektion, also das Erkennen von Bewegungen beim Eintritt ins Gesichtsfeld, sowie danach auf Konturen und Muster. Durch die geringe Überschneidung des Sehfeldes können in das Umfeld eingefügte Formen (3D-Sehen) nicht so gut angesprochen werden. Farben spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Allerdings schenken Pflanzenfresser offensichtlich der Farbe Grün besondere Aufmerksamkeit, da das ja die Farbe der Äsung ist und die Zäpfchen im Auge des Schalenwildes in diesem Wellenbereich (M-Zäpfchen 550 Nanometer) den größten Reiz erfährt.

Zum Abschluss noch ein paar Highlights. Der Muffel hat wahrscheinlich von unserem heimischen Schalenwild die beste Sehleistung. Versuche haben gezeigt, dass er auf 50 Meter Bewegungen in der Dimension eines Wimpernschlages und auf 1 000 Meter die Bewegung eines menschlichen Armes erkennen kann.

Jetzt kann eine Reihung vorgenommen werden, was das verräterische Potenzial für den tierischen Sehsinn betrifft. Klar, an erster Stelle steht die Bewegung, danach die menschentypische Kontur und zu guter Letzt die Farbe!

Die Frage ist nun berechtigt, für was diese Information nützt, da oft auf weite Distanzen, gedeckt in der Dunkelheit der Kanzel, ein Schuss angebracht wird. Auch auf dem Hochstand gibt es so manches zu beachten und beim Pirschen sowieso! Beginnen wir mit der Kanzel.

Der Pirschweg zur Kanzel sollte nach Möglichkeit gegen Ferneinblick gedeckt sein, kurz vor der Aufstiegsleiter ist eine Deckung, aus der man das Umfeld abglasen kann, zu empfehlen. Auf der Kanzel selbst ist Rundumblick zwar schön für den Jäger, im Gegenlicht jedoch kann jede Bewegung sowie der Schattenriss des Insassen gegen den Himmel selbst von Menschen einfach detektiert werden. Sowohl auf der Kanzel als auch am Boden ist eine unbedeckte Hand, die eine ausladende Bewegung ausführt, im Vergleich zum dunklen Umfeld von sehr weit zu erkennen. Versuchen Sie es selbst mit einem Weidkameraden aus Sicht des Wildes und ich bin sicher, es wird einige Aha-Erlebnisse geben.

Im Gegenlicht ist die Silhouette des Jägers in der scheinbar sicheren Kanzel sehr gut auszumachen.

 

Auf dem Pirschweg ist natürlich umso mehr auf die Vermeidung verräterischer Bewegungen zu achten. Dazu zählt auch beim bergab gehen, sich nicht an dünnen Bäumchen festzuhalten, die Bewegung wird in die Wipfel übertragen und kündet auf hunderte Meter von der Anwesenheit eines Jägers. Pirschen ist mehr stehen als gehen. Der Pirschsteig kann auch vorbereitet und strategisch angelegt werden. So ist es besser, in der zweiten Reihe eines Waldes zu pirschen und nur punktuell zum Waldrand vorzutreten, um abzuglasen. Dasselbe gilt bei Graten und Höhenrücken. Besser im Blickschatten vorankommen und dann gezielt und konzentriert, langsam heraustreten und sich immer der eigenen Silhouette im Kontext des Hintergrundes bewusst sein.

Generell ist Vermeidung besser als Tarnung und so sollte sich der Jäger fragen, wie er möglichst nicht in das Blickfeld seiner potenziellen Beute kommt. Einerseits helfen hoch angebrachte Ansitzeinrichtungen, da gibt es auch mobile Klettersitze, sogenannte Treestands. Wird vom Boden aus gejagt, helfen neben natürlicher Deckung Schirme oder Zelte. Eine echte Bereicherung ist das sogenannte Ghost Blind, ein nach außen verspiegelter Paravent, der den Untergrund vor dem Jäger reflektiert.

Ist das zu bejagende Wild erkannt und eine Annäherung muss erfolgen, obwohl keine Deckung vorhanden ist, haben meine Erfahrungen gezeigt, dass seitliche Bewegungen viel schneller erkannt werden als Bewegungen in Linie zum Stück, die in Zeitlupentempo ausgeführt werden. Hier kommt auch die menschliche Kontur ins Spiel. Hat Wild erstmal eine Bewegung erkannt (außerhalb der Sofortfluchtdistanz), möchte es aufgrund der Kontur bestimmen, wem diese zuzuordnen ist, bevor es in eine energieverbrennende Flucht verfällt. Bleibt der Jäger lange genug bewegungslos und wird aufgrund seiner Form und bei gutem Wind nicht als bedrohliches Individuum identifiziert, gibt sich Wild meist damit zufrieden und äst nach geraumer Zeit und zwischenzeitlicher Nachkontrolle (Scheinäsen) weiter.

Im heimischen Tierreich gibt es kein Wesen, das im Schattenriss und im Gang dem Menschen ähnelt. Besonders markant ist der aufrechte Gang auf zwei Beinen, der runde Kopf auf dem kurzen aber schlanken Hals und die abstehenden, oft schwingenden Arme. Eine erfolgversprechende Annäherung an Schalenwild gelingt meist gebückt mit eingezogenem Kopf, Arme angelegt und die Beine eng zusammen in kleinen Schritten sehr langsam voran, genau in Richtung Stück. Sobald es sichert, bewegungslos verharren, in unmittelbarer Nähe direkten Blickkontakt vermeiden. Sie erinnern sich, nur Prädatoren haben nebeneinanderliegende Augen. Das in Anschlag bringen der Waffe muss ohne seitliche Querbewegungen geübt werden!

Am Pirschweg im Revier können bewusst dichte Büsche gesetzt und dieser in Schlangenform angelegt werden, um nicht schon auf weite Distanz entdeckt zu werden.

Viele Jäger haben ihren Jagdhund mit bei der Pirsch. Dieser muss lernen, völlig ruhig abgelegt am Platz zu bleiben, während sich der Jäger seiner Beute nähert.

 

Camouflage

Kommen wir nun zu einem recht kontrovers geführten Thema, der Tarnkleidung. Überspitzt ausgedrückt stehen sich hier die „Lodenrockfraktion“ und die voll getarnten „Rambos“ gegenüber. Wie war das früher in unseren Breiten, als die Feuerwaffen noch nicht so weittragend waren? Ein Blick nach Österreich: Vom Erzherzog Johann ist im Jagdmuseum Stainz die Gamshaube, eine Kopfbedeckung aus einer Gamsdecke und zwei aufgesetzten Krucken, ausgestellt und in seinen Aufzeichnungen von einem Gamsmantel die Rede. Das hat er bei der Jagd getragen, aber sicher nicht beim Schüsseltrieb! Die eigentlich dem militärischen Bereich zugeschriebenen Ghillie Suits wurden von schottischen Jagdaufsehern entwickelt, um nahe an Wild und unerkannt an Wilderer zu kommen. So ähnlich halte auch ich das. Die richtige Kleidung zum gegebenen Anlass.

Wie bereits oben erwähnt, ist die Kontur, vor allem wenn es Beleuchtungsunterschiede zum Hintergrund gibt, verräterisch. Somit ist die erste und dringendste Aufgabe einer Tarnung, diese Kontur zu verwischen. Jagdkleidung in einheitlicher Farbe ist dazu denkbar schlecht geeignet. Die Erlösung versprechen Tarnmuster mit real wirkenden Elementen aus der Natur und im Jagdgeschäft schaut das auch spektakulär aus. Auf Entfernung und unter wechselnden Lichtverhältnissen wird dieses aber schnell zu einem einheitlichen, dunklen Block und somit wieder zur menschlichen Kontur. Meiner Erfahrung nach entfalten Tarnmuster mit großflächigen, kontrastreichen Mustern auf Entfernungen ihr volles Können – und genau da muss Tarnung wirken! Es ist auch schon ein grob kariertes Hemd, kombiniert mit einer Jagdhose mit andersfarbenen Einsätzen, eine sinnvolle Maßnahme, um die Kontur zu verwischen.

Verschiedene Tarnmuster für die Jagd.

Moderne Tarnkleidung für die Jagd hat im Vergleich meist wenig Grünanteil, es überwiegen Braun, Creme und Grau. Ebenso kommt Rot und Orange vor. Wie im ersten Teil des Artikels festgestellt, kann Schalenwild diese Farben nicht erkennen. Grün hingegen kann sehr gut differenziert werden. Dasselbe gilt für Blau und Gelb. Nebenbei sind Licht reflektierende Gegenstände wie Uhren oder Schmuck verräterisch, aber das kennt man ja aus diversen Westernfilmen.

Hier möchte ich nochmals auf das Thema Lichtempfindlichkeit, Ultraviolett (UV)- und Infrarot (IR)-Licht zurückkommen. Schalenwild unserer Breiten hat durch die hohe Anzahl an Stäbchen, das Tapetum lucidum und die größere Oberfläche der Lichter (Lichtstärke) ein sehr gut ausgeprägtes Dämmerungs- und Nachtsehen. Es kann offensichtlich auch UV-Licht ab 300 Nanometer sowie IR bis über 800 Nanometer visuell wahrnehmen – speziell Rotwild ist hier sehr gut. Was heißt das für den Jäger?

Das für den Menschen sichtbare Spektrum des Lichts (Quelle: Wikipedia).

Also sollte man es unbedingt vermeiden, Jagdkleidung mit Waschmittel mit Aufhellern zu waschen! Diese Aufheller wirken im UV-Bereich, das gibt dem Werbeslogan „Strahlend reine Wäsche!“ eine ganz neue Bedeutung. Ebenso für Personen, die Restlichtverstärker mit IR-Strahler alter Generation zur Beobachtung verwenden. Diese arbeiten im 800 Nanometer-Wellenbereich. Im benachbarten Ausland, wo Wild mit künstlichen Lichtquellen bejagt wird, hat dieses gelernt, sofort auf jegliche Form des Angestrahltwerdens, egal ob mit sichtbarem, rotgefiltertem oder IR-Licht, zu reagieren. IR-Strahler neuerer Generationen haben eine Wellenlänge von weit über 850 Nanometer und sind damit wirklich unsichtbar für Schalenwild.

Zum Schluss nochmals kurz zusammengefasst: Pirschwege planen und Ansitzeinrichtungen aus Sicht des Wildes beurteilen hinsichtlich der Frage, wie diese mit dem Hintergrund verschmelzen. Schnelle und seitliche Bewegungen vermeiden, wenn Sie Wild im Anblick haben. Verwischen der menschlichen Konturen. Bedecken der Hände mit Handschuhen, eventuell Verwendung einer Gesichtsmaske oder Schals in unmittelbarer Nähe.

Auch hier gilt, was schon bei der Geruchstarnung geschrieben wurde. Die Maßnahmen müssen einfach und schnell auszuführen sein, da sie sonst, nach anfänglicher Euphorie, nicht mehr angewendet werden.

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