Auf einem namenlosen Pferd reitet unser Autor durch die schroffe Bergwelt Kirgisiens. Zum wiederholten Male kann er der Versuchung eines reifen Steinbocks nicht widerstehen. Dabei ist in den kirgisischen Wildbahnen nicht alles zum Besten bestellt.
Text und Fotos: Dr. Christian Carl Willinger
Im Herzen Innerasiens gibt es ein weites, hoch gelegenes und dünn besiedeltes Tal, welches die beiden gewaltigen Gebirgssysteme Pamir und Tian Shan voneinander trennt. Es ist zweihundert Kilometer lang und zwanzig Kilometer breit. Man nennt es das Alai-Tal. Alle frühen Reisenden, Prževalskij etwa oder Littledale, Cumberland, Hedin, mussten dieses Tal queren, wenn sie in den Pamir oder nach Kaschgar und Ost-Turkestan vordringen wollten.
Der Talboden steigt nach Osten langsam auf 3.500 Meter an, wo nahe der chinesischen Grenze der flache Taun-Murun-Pass eine Wasserscheide bildet. Beidseits dieses Passes entspringt ein Fluss gleichen Namens: der Kisil Su, das Rote Wasser. Während der westliche Kisil Su dem Oxus oder Amu-Dar'ya und damit dem Aralsee zuströmt, fließt der östliche Kisil Su über Kaschgar ins Tarimbecken und versickert in der Takla Makan.
An diesem östlichen Kisil Su oder besser gesagt an seinem ersten Tributarfluss, der den Namen Nura trägt, hatten wir unser Basislager aufgeschlagen, eben an jener Stelle, an welcher der Nura aus einer engen Felsenschlucht hervortritt. Es war ein höchst bescheidenes Lager, das eigentlich nur aus Ottos Toyota, zwei blaugrünen Einmannzelten und meinem schilffarbenen Zweimannzelt bestand. Ich war von München über Moskau und Osch angereist und dann über den Taldyk-Pass und Sary-Tasch ostwärts zur Grenze nach China gefahren.
Der Kirgise Oktúm, Ottos Partner, der uns schon auf unserer Pamir-Expedition begleitet...