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Polen – Alt und abnorm

Leseprobe polen medaillenböcke
Eike Mross | 11 Min. Lesezeit
Ein Artikel aus Ausgabe 62

Südostpolen ist bekannt für sehr starkes Rehwild. Drei Jagdfreunde machten sich auf den Weg an die ukrainische Grenze, um zur Blattzeit auf Medaillenböcke zu jagen.

Text & Fotos Eike Mross

 

In der Brunft fliegen bei den Rehböcken im wahrsten Sinne die Fetzen.

Mit einem leisen Summen meldet sich mein Handy neben mir auf dem Sofa. Eine Nachricht von Alex: „Bin dann so gegen 21:45 bei dir.“ Ich stelle die Bierflasche zur Seite, blicke von der ohnehin langweiligen Sendung auf und tippe schnell zurück: „Hast du schon alles gepackt?“ Kaum habe ich die Nachricht abgeschickt, klingelt das Handy – Alex ist dran. „Was meinst du mit gepackt? Ich bin in zehn Minuten bei dir, wir fahren doch heute!“ Tja, so kann es gehen, wenn man den Reiseplan nicht richtig liest. Eigentlich sollten Alex und Andreas am Abend bei mir aufschlagen, und zusammen wollten wir in Richtung Polen aufbrechen – und das über Nacht. Dummerweise hatte ich im Stress übersehen, dass die Reise bereits heute startet! Mein Gott, wie dämlich kann man sein!? Jetzt heißt es, blitzschnell zu handeln und sich nichts anmerken zu lassen.  

„Kein Problem, ich packe nur schnell“, antworte ich ihm gelassen und lege auf. Jetzt heißt es, im Eiltempo die Sachen aus den Regalen und Schränken zu suchen und in die Taschen zu werfen. Zum Glück ist meine Jagdtasche fast immer halb gepackt, sodass das Wichtigste schon bereitliegt. Zwölf Minuten später klingelt es an der Tür, und Alex tritt lachend ein. „Andreas braucht noch fünf Minuten“, sagt er, „du hast also noch genug Zeit.“ Ich bleibe cool, deute auf meine Sachen und sage ganz locker: „Alles easy, bin schon lange fertig.“ Wir beide müssen lachen und schleppen meine Ausrüstung hinunter.

Andreas fährt den neuen Ineos Grenadier, und mit dem Geländewagen wollen wir die etwa dreizehnstündige Fahrt in Richtung Ukraine meistern. Andreas hatte den Kontakt zum Jagdreiseveranstalter TTA-Jagdreisen geknüpft und uns für diese Tour begeistert. Jeder von uns möchte zwei Böcke erlegen, am besten abnorme oder kapitale. Der Veranstalter wirbt mit der herausragenden Trophäenqualität des Rehwildes in dieser Region. Hier sollen bereits Böcke mit einem Nettogewicht des Gehörns von über 700 Gramm gestreckt worden sein. Keiner von uns hat bislang eine Goldmedaille beim Rehwild erlegt, aber das ist uns auch nicht das Wichtigste. Es geht um das Erlebnis – eine Jagd, an die man sich gerne erinnert.

Die nächtliche Fahrt verläuft problemlos. Die polnischen Autobahnen sind leer und in gutem Zustand, sodass wir früher als erwartet am Hotel ankommen. Dort erwartet uns bereits unser Pirschführer Darek von TTA. Er ist Angestellter des Veranstalters und betreut die Jagdgruppen in den verschiedenen Revieren. Dank seiner hervorragenden Deutschkenntnisse wird es somit keine Verständigungsprobleme mit den örtlichen Jagdführern geben. In der Umgebung stehen mehrere Reviere zur Verfügung, jedes mit mindestens 7000 Hektar Größe. Die Abschusszahlen sind im Vergleich zu Deutschland verschwindend gering. In dem Revier, in dem wir gemeldet sind, werden auf 7000 Hektar nur dreißig Rehböcke erlegt, davon waren im vergangenen Jahr siebzehn Medaillenböcke. Entsprechend viel Rehwild gibt es hier.

Die polnische Landschaft scheint wie gemacht für das Rehwild. Kleinstrukturierte Felder, durchzogen von Hecken, kleinen Gehölzen, Grasstreifen und Brachen, prägen das Bild. Zum Glück ist das Getreide bereits vollständig gedroschen, sodass wir viele Stoppeläcker zur Verfügung haben. Hier steht das Rehwild besonders gern, und es lässt sich schon aus großer Entfernung ausmachen. Obwohl man zur Blattzeit auch tagsüber Strecke machen kann, sind unsere Ausgänge für den Morgen und Abend geplant. Ein polnischer Jagdführer führt dabei jeweils zwei deutsche Jagdgäste. Die Jagdführer sind selbst Jäger und kennen ihr Gebiet gut, wodurch sie oft wissen, wo sich gute Böcke aufhalten. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Jagdführern, und man braucht ein wenig Glück, jemanden zu erwischen, der die Jagd nach den eigenen Vorstellungen gestaltet. Mit Darek, unserem Organisator, kann man aber besprechen, ob man mehr fahren, pirschen oder blatten möchte.

Wir haben Glück mit Pawel. Er spricht ein wenig Englisch und ist offen und geduldig, wenn wir für ein paar Fotos an einen Bock heranpirschen wollen. Tatsächlich sehen wir eine Menge Böcke. Es scheint fast so, als stünde an jeder Ecke einer. Doch die meisten sind normale Böcke, wie wir sie auch in Deutschland finden könnten. Hier und da entdecken wir jedoch auch gute Sechser, doch die kapitalen Böcke wachsen auch hier nicht auf den Bäumen.

Und wenn die Blattzeit beginnt, dann tauchen plötzlich völlig unbekannte Böcke auf.

Wir durchqueren einen kleinen Ort, der eher einer Siedlung aus drei Höfen gleicht. Hühner laufen frei herum, Bienenstöcke stehen am Waldrand, und ein alter Traktor ohne Motorhaube steht im Garten, überwuchert von Knöterich. Im Gegensatz zu dieser rustikalen Dorfromantik parkt ein nagelneuer Ford Ranger in der Einfahrt. Hinter dem letzten Hof wurde ein Streifen Weizen geerntet, und dahinter steht noch Mais. Auf dem Stoppelstreifen steht ein Bock mit einer Ricke. Durch das Fernglas sprechen wir ihn als guten Sechser an, doch für eine Medaille wird es nicht reichen. Gerade als wir weiterfahren wollen, dreht er sein Haupt, und wir können die rechte Stange vollständig sehen. „Der ist abnorm“, entfährt es mir etwas zu laut, aber bei der Distanz von über hundert Metern ist das kein Problem. Wir diskutieren, ob er ein ungerader Achter ist oder nicht, und entscheiden uns, den Bock zunächst zu fotografieren, um ihn besser ansprechen zu können.

In der Deckung von Brennnesseln, die am Gartenzaun wachsen, pirschen wir mit der Kamera näher heran. Der Bock treibt unterdessen seine Ricke über die Stoppeln. Das Treiben führt langsam in Richtung Mais, bis die beiden schließlich zwischen den Stängeln verschwinden. Auf den Fotos erkennen wir, dass der Bock an der rechten Stange zwei zusätzliche Enden hat. Ein Ende sitzt gegenüber der Vordersprosse, und eine weitere Stange wächst oberhalb der Rose nach oben – etwa bleistiftdick.

„Ein interessanter Bock“, stellt Andreas nüchtern fest, der wenig Faszination für Abnormitäten hegt. Ein Tipp für alle, die sich für eine solche Jagdreise interessieren: Wenn ihr einen Bock seht, der euch gefällt und auf den ihr es später noch einmal versuchen wollt, macht ein Handyfoto und aktiviert die GPS-Funktion. So könnt ihr die Stelle dem Jagdführer zeigen und habt zugleich ein Bild der Umgebung, was das Wiederfinden erleichtert. Bei den vielen Böcken, die man pro Ausgang sieht, ist es oft schwierig, dem polnischen Jagdführer genau zu erklären, welchen man meint.

Am Ende hat es mit dem bestätigten Abnormen doch noch geklappt.

Am Abend werten wir gemeinsam alle Fotos aus und zeigen sie den anderen der Gruppe. Der abnorme Bock sorgt natürlich für Interesse. Tatsächlich genieße ich die Abende genauso sehr wie die Pirschfahrten. Das Zusammensitzen, erzählen was man erlebt hat in gelöster Stimmung und gutem polnischen Essen gehört einfach dazu. Als wir es am Morgen erneut auf den Abnormen versuchen, haben wir kein Glück und blatten lediglich einen jungen Gabler heran. Dafür erleben wir eine einmalige Begegnung während der Blattzeit. Vor uns auf den Stoppeln entdecken wir einen jungen, aber starken Sechser. Mit der Kamera bewaffnet wollen wir ihn blatten und fotografieren. Zunächst klappt es ohne Probleme. Wie an einer Schnur gezogen, kommt der Bock auf uns zu. Doch plötzlich verhofft er und äugt nach rechts. Eingeschränkt durch den Sucher unserer Kameras haben wir nicht bemerkt, dass sich ein weiterer Bock unserem Blatten genähert hat. Dieser ist ein alter, etwas ungleicher Bock, der sich nun mit dem jungen Sechser ein Schaulaufen liefert. Sie verdrehen die Lichter, recken die Häupter und plätzen auf dem Stoppelfeld. Einen richtigen Kampf wollen sie aber nicht beginnen. Dennoch ist es beeindruckend, dieses Verhalten so hautnah zu erleben.

Bis zum letzten Abendausgang bekommen wir den Gesuchten nicht zu Gesicht. Alex und ich wollen es nun noch einmal versuchen. Ich habe bereits meine zwei Böcke strecken können, aber Alex hat noch einen frei. Wir versuchen es zuerst am Maisfeld, aber ohne Erfolg. Also drehen wir erst einmal ein paar Runden durchs Revier. Wir sehen viele Böcke, doch keiner kommt an den Abnormen heran. Kurz vor Sonnenuntergang kehren wir zur kleinen Siedlung zurück, in der Nähe des Maisfelds. Das Feld endet an einer Wiese aus Binsen und Weiden. Als wir um die Ecke kommen, steht bereits ein Reh auf der Wiese. Ein Blick durch die Kamera bestätigt: „Da ist er!“ Ganz vorsichtig pirschen wir uns weiter vor. Eine kleine Hecke aus Birken und Weiden gibt uns etwas Deckung. In etwa vierzig Metern Entfernung befindet sich eine Lücke, von der aus es nur noch achtzig Meter bis zum Bock sind. Dieser äugt bereits in unsere Richtung, als Alex die Waffe auf den Pirschstock legt. „Beeil dich, der ist gleich weg“, flüstere ich, als der Schuss bricht. Deutlich zeichnend flüchtet der Bock in die hohen Binsen. Grinsend klopfe ich Alex auf die Schulter. „Der liegt. Waidmannsheil!“

Mit gelöster Stimmung gehen wir zum Anschuss. An der Kante zu den Binsen finden wir guten Schweiß und können der Fährte leicht folgen. Wenige Meter weiter liegt der Bock. Das Gehörn ist in Gras und Vegetation eingewickelt. Natürlich wollen wir als erstes die Trophäe begutachten. Als wir das Grünzeug entfernen, mache ich ein verdutztes Gesicht. „Ähm, hier fehlt was“, ist das Einzige, was mir einfällt. Die untere, etwa bleistiftdicke Stange oberhalb der Rose fehlt. Für einen kurzen Moment glaube ich, dass wir den falschen Bock erlegt haben. Doch es ist deutlich eine helle Stelle zu sehen, genau dort, wo die Stange hätte sein sollen. „Verdammt, die hat er sich abgebrochen“, stellt Alex frustriert fest. Wir beginnen, die Stange im Binsenmeer zu suchen, aber nach dreißig Minuten bleibt sie unauffindbar. Es wird langsam zu dunkel, um noch etwas zu sehen. „Nun ist es definitiv ein ungerader Achter“, sage ich enttäuscht. Wir fahren ohne die abgebrochene Stange zurück. Zum Glück haben wir die Fotos, die den Bock vor dem Bruch zeigen und beweisen, wie abnorm er war.

Die Tage in Südostpolen waren voller unvergesslicher Eindrücke, die uns noch lange begleiten werden. Die Trophäen bekommen einen besonderen Platz und werden uns noch Jahre später an diese Reise erinnern. Andreas erlegte eine Bronzemedaille und einen uralten Bock. Alex den Abnormen und ebenfalls einen sieben- bis achtjährigen Recken. Ich konnte eine Goldmedaille mit 528 Gramm netto und einen Silbermedaillenbock strecken.

Zeit zur inneren Einkehr.

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